Neulich las ich in einer Kolumne:
„In meinem Umfeld beobachte ich die Tendenz, dass Freunde, statt sich mal ordentlich aufzuregen, behaupten, an jeder noch so ätzenden Situation innerlich zu reifen. Also, wenn mein Partner mich zwei Jahre lang betrogen hätte, dann würde ich daran vielleicht auch in ein paar Jahren charakterlich gewachsen sein, aber erst mal würde ich es ausgiebig Scheiße finden.“
Herrlich! Die Kolumnistin Birte Müller ist ab sofort mein neue Heilige. Ich bin rehabilitiert, denn ich bin derzeit auf Krawall gebürstet.
Ich bin ja nun krank, keiner weiß was ich hab, aber unangefragte Tipps und Ratschläge bekomme ich zuhauf. Und auch den Hinweis, dass all das vermutlich einen Sinn macht. Kann sein, kann nicht sein. Aber erst einmal ist das Kranksein Scheiße. Und reifen will ich auch nicht, ich bin doch kein Käse.
Aber warum bringen mich die Tipps manchmal so auf die Palme?
Und warum springt in mir selber auch der RatSchlag- und ReifePflicht-Generator an, wenn mir Unglück begegnet? (…jaja, ich mach das auch!)
Warum geben wir Menschen ungefragt Lösungshilfen?
Zuerst der komfortable Vorschlag:
- Ich will Mut machen. Ich mache mir Sorgen und möchte dem Anderen helfen (Hört sich gut an, ich bin ein Held)
Hier ein paar Vorschlage, die ein bisschen kratziger sind:
- Nicht still sein können. (Da ist die Fähigkeit des Aushaltens gefragt. Schwer, schwer!)
- Ich werde an meine eigenen Versehrtheit erinnert. Unglück, Krankheit, Tod rücken mir auf die Pelle. (Die Beruhigungsformeln für mein Gegenüber „das wird schon wieder“ beruhigen dabei eigentlich mich selbst)
- Automatische Reaktion, macht man so, man muss ja was antworten (Ich spüre den anderen und seine Bedürfnisse dabei nicht wirklich)
- Selbsterhöhung – Ein schlechtes Selbstwertgefühl versteckt sich gerne hinter dem Helfersyndrom. (Wenn mein Rat Heilung bewirk: Ich bin ein Hecht, ich hab´s gewusst)
- Unfähigkeit, Leid auszuhalten, sich selber hilflos fühlen (Dabei sind Menschen, die ein Unglück – wenigstens eine zeitlang oder immer mal wieder- mit mir zusammen aushalten können, es nicht wegmachen wollen, das größte Geschenk in Krisenzeiten)
All diese kratzigen Motive schlummern jedenfalls auch in mir. Und wie ist es bei Dir?
Eine wunderbarer Mensch fragte mich neulich, ganz spontan: Soll ich für dich beten? Und ich war so entzückt und berührt: Kein Rat, um an mir rumzuschrauben und keine Idee, dass regelmäßiger Olivenölkonsum oder eine teure Privatbehandlung es schon richten wird: Einfach ein Gebet für mich und die Bitte um ein Wunder. Her damit!
Sollte ich Dir demnächst mit ungefragten RatSchlägen und SinnVerordnungen kommen, hau mir einfach um die Ohren: Halt den Mund, lass mich jammern und beten kannst du auch für mich! Das mach ich dann auch…
Hier geht’s zur Kolumne , die mich beglückt hat und hier zur homepage der dazugehörigen Kolumnistin Birte Müller